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Katz
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Else und Richard Katz, Adelebsen – Lange Straße 17 und Göttingen - Groner Straße 52
Im Juni 1939 traf das Ehepaar Katz aus Göttingen nach zweimonatiger Seereise in der chinesischen Hafenmetropole Shanghai ein. Am 25. April 1939 waren sie von Hamburg aus aufgebrochen. Erst acht Jahre später nahm ihre Flucht mit der Weiterreise nach New York ein Ende.
Richard Katz wurde am 16. Juli 1899 in Witzenhausen in Nordhessen geboren. Sein Vater Israel führte, gemeinsam mit einem Onkel, in der Stadt ein Alteisen-Geschäft (Gebr. Katz), an dem sich sein Bruder Julius beteiligte. Nach dem Besuch der Grund- und der Mittelschule verließ Richard Katz Witzenhausen, um in Erfurt eine kaufmännische Lehre zu beginnen. Er fand einen Ausbildungsplatz in der Firma D. Baumgardt, in der er auch nach dem erfolgreichen Lehrabschluss noch einige Monate weiterarbeitete. Dann zog ihn das Militär 1917 zum Heeresdienst ein. Mit dem II. Artillerie-Regiment Kassel kämpfte er im Ersten Weltkrieg in Frankreich. In den wenigen Monaten seines Einsatzes nahm er an den schweren Kämpfen um St. Quentin teil. Bei Artilleriegefechten zwischen Somme und Oise wurde er 1918 verschüttet. Man pflegte ihn schließlich in Langensalza wieder gesund.
Klassiche Kaufmannskarriere wurde jäh unterbrochen
Nach der Erholung von den Kriegsverletzungen begann Richard Katz eine Tätigkeit als kaufmännischer Angestellter bei der Firma M. Heilbrun in Osterode/ Harz. Er blieb dort nur wenige Monate, wechselte dann zum Kaufhaus Schocken nach Freiberg in Sachsen. Zu Beginn der 1920er Jahre stieg er schließlich vorübergehend in das Familiengeschäft in Witzenhausen mit ein. Dieser berufliche Werdegang war typisch für jüdische Kaufleute zur Zeit des Kaiserreichs und der Weimarer Republik. Sie schlossen die Schulausbildung mit der Mittleren Reife oder dem Einjährigen ab, absolvierten eine Lehre im kaufmännischen Bereich und arbeiteten danach in verschiedenen Firmen meist jüdischer Geschäftsleute. Schließlich übernahmen sie den väterlichen Betrieb oder machten sich selbstständig. Auch Richard Katz versuchte ab 1931 sein Glück als Kaufmann. Er erwarb in Witzenhausen einen Wandergewerbeschein für den Verkauf von Textilien und belieferte die Kundschaft in der Umgebung der Stadt.
In der Zeit der Weltwirtschaftskrise war ein Start als selbstständiger Kaufmann riskant. Für Richard Katz war von Vorteil, dass er als Reisender Geschäfte für den Vater vermitteln konnte und somit auch auf der Lohnliste der Firma Gebr. Katz verblieb. Die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Geschäftsentwicklung waren gegeben, sie wurden aber mit Beginn der NS-Zeit ausgebremst. Zunächst konnte Richard Katz seinen Handel auf niedrigem Niveau aufrecht erhalten. Im Jahr 1936 aber beschuldigte ihn die Gestapo auf Grund einer Denunziation der „Rassenschande". Am 03. Oktober 1936 wurde er in Witzenhausen verhaftet und nach Göttingen ins Gerichtsgefängnis am Waageplatz gebracht. Die Große Strafkammer des Landgerichts Göttingen verurteilte ihn im Dezember 1936 zu einem Jahr Zuchthaus, die Untersuchungshaft wurde angerechnet. Mit dieser Verhaftung und Verurteilung begann für den jungen Geschäftsmann eine lange Leidenszeit.
Mit mobilem Textilhandel zu Wohlstand gelangt
Am 04. Dezember 1906 wurde Else Jacobi als Tochter von Israel und Frieda Jacobi in Adelebsen geboren. Mit fünf Geschwistern wuchs sie in der Kleinstadt Adelebsen auf, damals im Kreis Northeim gelegen. Nach der Grundschule lebte sie weiterhin im Haushalt ihrer Eltern. Vater Israel handelte in der Region mit Textilwaren, die er en gros bestellte. Der Großhändler lieferte die Ware an Bahnstationen, an denen Israel Jacobi kleine Lagerräume angemietet hatte. Er fuhr mit dem Rad an diese Orte, holte die Ware ab und belieferte seine Kunden. Bei mehreren Sparkassen und Bankfilialen in der Region besaß der Kaufmann Konten, um nicht zu viel Bargeld bei sich tragen zu müssen. Noch Ende der 1930er Jahre muss der Kaufmann über Rücklagen in Höhe von fast 30.000 RM verfügt haben, was sich aus den gezahlten Raten der Judenvermögensabgabe ergibt. Alle Werte, die in den Jahren zwischen 1938 und 1942 von den Behörden beschlagnahmt wurden, verweisen auf einen weit höheren Besitzstand, inklusive des Hausgrundstücks. In der Pogromnacht 1938 stahlen SA-Männer knapp 20.000 RM Bargeld, die für Emigrationszwecke zurückgelegt und dem Zugriff des NS-Staates entzogen worden waren.
Schwestern Else und Hilde Jacobi aus Adelebsen lebten vorübergehend in Göttingen
Da Richard Katz als mobiler Textilhändler eine Karriere wie Israel Jacobi vor sich hatte, wären seine Möglichkeiten ohne die NS-Zeit wohl ausgezeichnet gewesen. Ob Else Jacobi auch im Geschäft in Adelebsen mithalf und womöglich eigene berufliche Pläne hatte, ist nicht bekannt. Nach dem 30. Januar 1933 waren sie allemal obsolet. Else Jacobi lernte Richard Katz vermutlich 1937 in Göttingen kennen. Zu diesem Zeitpunkt lebte ihre Schwester Hilde mit ihrem Göttinger Ehemann Sigmund Blum in der Groner Straße 52 im Haus Silbergleit. Sigmund Blum hatte zuvor versucht, in Adelebsen ein stationäres Textilgeschäft bei Schwiegervater Jacobi einzurichten. Der Eröffnungszeitpunkt 1929 hätte aber ungünstiger kaum sein können. Nach 1933 zerschlugen sich diese Pläne vollends, so dass das Ehepaar Blum nach Göttingen umzog. In der Groner Straße 52 war ab 1937 auch Richard Katz gemeldet. Nach Verbüßung seiner Haftzeit im Gefängnis Kassel-Wehleiden siedelte er von Witzenhausen nach Göttingen über.
Nach Haftverbüßung Arbeit in einer Baufirma gefunden
Der Umzug in die nächstgelegenen größeren Städte war ab Mitte der 1930er Jahre der Beginn der jüdischen Fluchtbewegung. In der Universitätsstadt fand Richard Katz eine gewisse Anonymität und eine Anstellung als Arbeiter in der Tiefbaufirma Drege. Im Dezember 1937 heirateten Else Jacobi und Richard Katz, sie wohnten nun gemeinsam in der Groner Straße. Ihr Glück war nur von kurzer Dauer, im Juni 1938 verhaftete die Gestapo Richard Katz erneut. Unklar bleibt, warum die Festnahme erfolgte. Man überstellte ihn sofort in das KZ Sachsenhausen. Die Konsequenz dieser Maßnahme lässt eigentlich nur die Interpretation zu, dass man ihn unter Druck setzen und zur Auswanderung nötigen wollte. Während der Haft im KZ misshandelten die SS-Wachmannschaften Richard Katz schwer. Ein Obersturmführer mit dem Spitznamen „Windhund" hatte es besonders auf den Kaufmann abgesehen. Er schlug ihm mit einer Schaufel so auf den Unterarm, dass Richard Katz zwei tiefe Schnittwunden davontrug und ins Krankenrevier gebracht werden musste.
Das Lazarett wurde in den sieben Monaten seiner Inhaftierung zum ständigen Aufenthaltsort. Kaum halbwegs wiederhergestellt, ließ ihn der „Windhund" beim Arbeitseinsatz bis zum Hals eingraben. Brutal waren auch die Appelle. Bei Kälte und ohne ausreichende Bekleidung mussten die Häftlinge stundenlang stramm stehen. Richard Katz brach dabei einige Male zusammen und wurde von den Kameraden ins Krankenlager getragen. Schließlich entließ man Richard Katz im Januar 1939. Die Gestapo teilte ihm mit, er habe Deutschland innerhalb von drei Monaten zu verlassen, ansonsten drohe ihm die erneute Verhaftung und Internierung in Sachsenhausen. Eile war geboten, um die lebensrettenden Papiere und den Pass zu bekommen. Eigentlich wäre das Ehepaar Katz lieber nach Amerika geflüchtet, eine Quotennummer für das jährliche deutsche Kontingent war aber auf absehbare Zeit nicht zu bekommen. Nur mit einer Passage nach Shanghai konnte das Ultimatum der Gestapo erfüllt werden. Das chinesische Konsulat erteilte ohne Probleme die Visa, so dass auch die deutschen Behörden keine weiteren Schwierigkeiten bei der Ausstellung der Papiere machten. Zuletzt musste noch die Schiffspassage gebucht werden.
Am 21. April 1939 brach das Ehepaar Katz aus Göttingen auf. Bis dahin hatte sich Richard Katz täglich bei der Gestapo melden müssen, um über den Stand seiner Ausreisebemühungen Bericht zu erstatten. Gestapomann Griethe, zuständig für die jüdische „Emigration" in der Region, machte Druck auf die Verfolgten. Da kein anderer Weg ins Ausland möglich war, wurden die beiden letzten vorhandenen Plätze auf der Usaramo gebucht. Dieses Schiff hatte die Gestapo in Hamburg gechartert. Sie unternahm damit den Versuch, die ins Stocken geratene Zwangsemigration der jüdischen Bevölkerung wieder in Gang zu bringen. Zunächst führte die Reise von Else und Richard Katz also in die Hansestadt. Da die beiden letzten Passagen zur I. Klasse gehörten, bezahlte das Ehepaar 4.500 RM zuzüglich 900 RM Bordgeld. Für das Bordgeld verteilte die Gestapo Gutscheine, mit denen auf der Reise Verpflegung und Service bezahlt werden sollten. Nur gab es weder das eine noch das andere. Um die Zahl der Passagiere zu erhöhen, war die Crew auf das Nötigste reduziert worden. Die Essensausgabe lief über die Gruppenspeisung durch die Kombüse. „Gutscheine für Bordgeld" war also nur ein weiterer Schwindel der Gestapo, um sich des Geldes der Verfolgten zu bemächtigen.
Ende Juni 1939 trafen die Geflüchteten, nach einer zweimonatigen Reise entlang der Küste Afrikas, um das Kap der Guten Hoffnung, durch den Indischen Ozean, vorbei an Indonesien und durch das Gelbe Meer, in der chinesischen Metropole ein. In Berlin wurde die Ankunft als erfolgreiches Gestapo-Unternehmen gefeiert. Man plante sofort eine Erhöhung der Schiffskapazitäten, um die Auswandererquote zu erhöhen. Der Kriegsausbruch in Europa und Proteste in Shanghai verhinderten dieses Vorhaben. Else und Richard Katz kamen in der Tongshan Road im International Settlement unter, einem Bezirk unter Verwaltung des Municipal Council. Diese internationale Behörde, bestimmt vor allem durch britische Beamte, kümmerte sich zu dieser Zeit um die Formalitäten. Es gab eine jüdische Gemeinde und mehrere Hilfskomitees, die zwecks Finanzierung mit dem American Jewish Joint Distribution Committee (JDC) in Verbindung standen. Die Komitees übernahmen die soziale Versorgung der Geflüchteten, die meist nur mit dem persönlichen Gepäck und den von deutschen Behörden erlaubten 10 RM Reisegeld in Shanghai eintrafen.
Mehrere Wochen in einem Hospital in Shanghai
Durch die Komitees wurden auch mehrere Sammelunterkünfte betreut. In einigen dieser lagerähnlichen Domizile schliefen Männer und Frauen getrennt in großen Schlafsälen, die Verpflegung kam aus Gemeinschaftsküchen. Damit war immerhin für das Nötigste gesorgt. Auch die erste Adresse des Ehepaares, die Tongshan Road 599 war eine solche Behelfsunterkunft. Else und Richard Katz hatten hier immerhin ein eigenes Zimmer mit der Nr. 23. Wegen seiner Verletzungen und Zusammenbrüche in Sachsenhausen und den Strapazen der Überfahrt lag Richard Katz, der Mitglied der Jüdischen Gemeinde Shanghai geworden war, mehrere Wochen in einem Hospital. Ob er anschließend Arbeit fand, ist ungewiss. Bekannt ist nur, dass ihn eines der Komitees unterstützte. Am 22. Februar 1940 kam Sohn Denny Joel zur Welt, im selben Jahr entzogen die deutschen Behörden dem Ehepaar Katz die deutsche Staatsbürgerschaft.
Nach Einrichtung des Ghettos 1943 verschlechterten sich die Verhältnisse erheblich
Drei Jahre später, am 18. Mai 1943, veranlassten die japanischen Besatzungsbehörden des Stadtteils Hongkou, der zum International Settlement gehörte, die Ghettoisierung der staatenlosen Geflüchteten. Ihre Namen wurden erfasst und gelistet, sie mussten in eine andere Sammelunterkunft in der Ward Road umziehen. Hier lebten sie von nun an in Haus Nr. 3. Inwieweit das japanische Militär bei der lagermäßigen Unterbringung der jüdischen Flüchtlinge in einem abgesperrten Bezirk auf die Wünsche ihres deutschen Verbündeten Rücksicht nahmen, ist in der Forschung bis heute umstritten. Die Bewohner des Ghettos konnten den Bezirk nur mit Genehmigung verlassen, hauptsächlich zur Arbeit. Man bewachte sie aber nicht direkt, außerdem lebten sie mit vielen chinesischen Kriegsflüchtigen in einem Stadtteil. Versorgung und hygienische Verhältnisse verschlechterten sich aber zusehends. Da sich auch nach der Befreiung Shanghais durch amerikanische Truppen an der Situation nur wenig änderte, außer der Aufhebung des Ghettobezirks, blieb die soziale Lage der Geflüchteten bis zur Überfahrt in die USA weiterhin prekär.
Familie Katz gelang es erst im März 1947, die chinesische Hafenmetropole Shanghai zu verlassen. Auf der General Gordon reisten sie zunächst nach San Francisco, von dort ging die Reise per Zug weiter nach New York. Die Kosten dieser Reise steuerte die HIAS bei, eine der großen jüdischen Hilfsorganisationen, die international agierten. Auch diese Fahrt kostete ca. 800 $, so dass die Flucht aus Deutschland und die Weiterreise in die USA umgerechnet annähernd 10.000 RM gekostet hatte. Die meisten Kosten übernahmen JDC und HIAS, aber auch Israel Jacobi, der Vater von Else Katz, trug einen Anteil. In New York kamen sie zunächst bei Schwester Hilde und Schwager Sigmund Blum unter, die mit Tochter Ursula gleich nach dem Pogrom, noch im November 1938, in die USA geflüchtet waren. Familie Blum lebte in der West-Bronx, in einem Stadtteil mit hoher Zuwanderungsquote jüdischer Flüchtlinge. Wie viele andere jüdische Einwanderer auch, fand Richard Katz in New York nur sehr schwer Arbeit. Hinzu kam, dass seine Verletzungen aus dem Lager und andere gesundheitliche Probleme die Möglichkeiten zusätzlich erheblich einschränkten. In den Jahren 1948 und 1949 verdiente der Kaufmann mit Gelegenheitsjobs 620 $ bzw. 890 $ im Jahr, das Existenzminimum in der Metropole lag bei 250 $ monatlich. Ohne das Einkommen, das Else Katz als Fabrikarbeiterin verdiente, hätte die Familie von Unterstützung leben müssen. Nachdem Richard Katz nach einem Krankenhausaufenthalt 1951 endgültig seine Arbeitsfähigkeit verlor, sorgte die „Wiedergutmachung" für finanzielle Entspannung.
Neubeginn nach Rückerstattung
Entschädigungsleistungen für den enteigneten Besitz der Familien Jacobi in Adelebsen und Katz in Witzhausen ermöglichten es Richard und Else Katz, sich Mitte der 1950er Jahre eine neue Existenz aufzubauen. Der Kaufmann eröffnete auf dem Nassau Farmers Market in Bethpage, Long Island, ein kleines Geschäft für Schreibmaterialien. Zwar konnte Richard Katz kaum selbst am Stand aushelfen - Sohn Denny übernahm das Tagesgeschäft - aber immerhin gelang es, zum Ende der 1950er Jahre das Existenzminimum zu sichern. Zusammen mit den Einnahmen seiner Ehefrau, die weiterhin als Arbeiterin tätig blieb, und den Entschädigungszahlungen konnte ein halbwegs sicherer Lebensstandard erreicht werden. Richard Katz verstarb im Juni 1972 in New York, Ehefrau Else folgte ihm 25 Jahre später.
Fußnoten
- Angaben zur Familie Katz auf Basis der Dokumente aus den Entschädigungsakten für Richard Katz, NLA-HStAH, Nds. 110 W Acc. 14/99 Nr. 105100 und Else Kazu, geb. Jacobi, NLA-HStAH, Nds. 110 W Acc. 14/99 Nr. 127166a und Nr. 105102.